300 JAHRE

Die Seelsorge im Berchtesgadener Kessel ging von der Mutterkirche Grödig bei Salzburg aus. Durch die Gründung des Augustinerchorherrenstifts (1102) kam es zur Bildung einer eigenen Stiftspfarrei, die im Papstprivileg von Innozenz II. 

1142 urkundlich fassbar wird und deren Grenzen in einem Vertrag zwischen Erzbischof Adalbert II. (1168 — 1177 und 1183 — 1200) und dem Stift gleichlaufend mit den Landesgrenzen der Propstei festgelegt wurden. Kaiser Heinrich VI. bestimmt in der Urkunde von 1194, „dass die Berchtesgadener Leute sowohl in weltlichen als auch in den geistlichen Dingen von ihrem Propst geführt werden sollen.” 

Von jetzt an gibt es auch den Stiftspfarrer, der als Vikar des Propstes zusammen mit den anderen Chorherren die pfarrlichen Rechte und Pflichten wahrnimmt und die Seelsorge im ganzen Land ausübt. Das große Pfarrgebiet wurde freilich durch die Gründung der Pfarrei Schellenberg (um 1410) und die Errichtung des Vikariats Ramsau (1657/ 58) etwas verkleinert und dadurch überschaubarer gemacht, aber die Ausübung der Seelsorge — besonders im Blick auf die weitverstreuten Lehen weit hinauf zu den Bergen — bleibt anstrengend und schwierig und ist nur durch Pferde und Schlitten zu bewältigen. Kirchenrechtlich löst man sich in dieser Zeit auch aus dem Verband des Salzburger Archidiakonats und bildet einen eigenen selbständigen Berchtesgadener Archidiakonats Sprengel mit dem Propst an der Spitze.

Im 15. Jahrhundert tauchen in den Quellen nun auch Weltpriester als Seelsorger im Stiftsgebiet zur Unterstützung der Chorherren auf, die als Pfarrkapläne, Chorkapläne, aber auch als Pfarrer von Schellenberg und als Vikare in der Ramsau wirken. Dazu kommen auch noch eigene Prediger, die sich in besonderer Weise um die Verkündigung des Wortes Gottes, aber auch um andere seelsorgliche Aufgaben kümmern mussten. Friedhöfe gab es außer bei St. Andreas in Berchtesgaden auch einen solchen bei St. Nikolaus und Ulrich in Schellenberg und bei der Kirche des hl. Fabian und Sebastian in der Ramsau. Die beiden Pfarrkapläne von St. Andreas waren zusammen mit dem Pfarrer mit der Erteilung des Religionsunterrichts, den Predigten, den Andachten, den Kreuzgängen und Wallfahrten, den Bruderschafts Gottesdiensten und -prozessionen, dem Beichtstuhl, der Betreuung des Spitals, des Bruder- und Leprosen Hauses, der Kranken auf den Höfen, der Durchführung der Versehgänge, der Beerdigungen u.a.m. völlig überlastet. Dies war nicht zuletzt eine Folge dessen, dass sich die adeligen Chorherren seit dem 15. Jahrhundert zusehends aus der praktischen Seelsorge immer mehr zurückgezogen hatten, was nach den Grundsätzen der Augustinerchorherren und laut Statuten neben dem Chordienst ihre eigentliche Aufgabe gewesen wäre. Doch das fürstliche Stift zu Berchtesgaden war längst zu einer Versorgungsanstalt des Adels abgeglitten und fand trotz mehrerer Reformversu¬che nicht mehr zu seiner ureigenen Bestimmung zurück. Dazu kam noch das Einsickern der evangelischen Bewegung im 17. Jahrhundert vom Dürrnberg her in das Stiftsland, die durch die Verbreitung der hl. Schrift, gezielte Predigttä¬tigkeit und besonders durch persönliche seelsorgliche Betreuung bei den Stiftsuntertanen überraschenden Anklang fand und langsam bedrohliche Ausmaße annahm. Dies alles bereitete notwendig den Boden für eine „Hilfe von außen”, die zunächst durch Aushilfen zu bestimmten Zeiten eingeleitet wurde.

Die Zeit der Aushilfen durch verschiedene Ordenshäuser Bereits unter Fürstpropst Ferdinand, Kurfürst v. Köln (1594 — 1650), hatten die Jesuiten — ebenso wie in Salzburg — versucht, in Berchtesgaden Fuß zu fassen, was aber schon im Ansatz scheiterte. Der Nachfolger Ferdinands, Kurfürst Maximilian Heinrich (1650 — 1688), hatte eine besondere Verbindung zur Tiroler Kapuzinerprovinz und trug sich mit dem Gedanken, in Berchtesgaden ein Hospiz dafür zu gründen, um der seelsorglichen Not im Land zu steuern. Das Stiftskapitel hatte je¬doch Bedenken, einmal, dass die ohnehin arme Bevölkerung einen Bettelorden, der auf Almosen angewiesen sei, nicht unterhalten könne, zum anderen fürchtete man das Vertrauen der Stiftsuntertanen an das kommende Kloster zu verlieren. Der Fürstpropst versuchte, die Einwände auszuräumen, nachdem schon über lange Zeit die Mendikantenorden aus Salzburg zu Festzeiten zur Aushilfe in Berchtesgaden tätig geworden waren. Die Verhandlungen mit dem Tiroler Provinzial hatten Erfolg. Im Sommer 1687 bezogen die Kapuziner, Pater Heinrich aus Brixen und Pater Anselm aus Innsbruck, das Angerkloster und nahmen ihre seelsorgliche Tätigkeit auf. Am 23. 9. 1687 erließ die fürstliche Regierung eine Anfrage an die beiden Kapuziner über ihre Pläne zur Errichtung eines Hospizes. Beide bejahten den Plan unter der Bedingung, dass ein richtiges Kloster folgen würde.

Die Einseitigkeit der Verhandlungen mit dem fernen Kurfürsten und die Vernachlässigung der wohlwollenden Zustimmung der nahen Stiftskapitulare brachte das ganze Projekt zum Scheitern. Die Tiroler mussten abziehen. Dafür holte man nun Kapuziner aus dem neu gegründeten Kloster in Traunstein,, aber auch dies wurde aus Kostengründen bald wieder aufgegeben. Inzwischen starb Kurfürst Maximilian Heinrich (3. Juni 1688) und sein Neffe Joseph Clemens trat die Nachfolge in Köln und Berchtesgaden an (1688 – 1727).
In Berchtesgaden versuchte man in den ersten Regierungsjahren des neuen Landesherrn sich mit Aushilfen der Franziskaner-Rekollekten aus Salzburg „über die Runden” zu bringen und außerdem auch selber, zusammen mit den Weltpriestern wieder aktiver in die Seelsorge einzusteigen. Doch schon nach wenigen Jahren war man auch mit den Salzburger Franziskanern nicht mehr zufrieden. 

Man beschwerte sich darüber, dass man entweder viel zu junge, unerfahrene Patres zur Aushilfe schicke, oder die zur Beichtaushilfe oder zum Predigen geschickten Ordensleute stammten aus dem Elsaß oder aus Franken -das Salzburger Kloster gehörte damals zur Straßburger Franziskanerprovinz – und würden ihrerseits die Einheimischen nicht verstehen bzw. von diesen bei der Verkündigung nicht verstanden werden. Die Dialektschwierigkeiten waren offenbar unüberwindbar. Zudem reduzierte der regierende Erzbischof in Salzburg, Johann Ernst Graf v. Thun, 1694 den Franziskanerkonvent und verbot bei Pestgefahr einen Pater ins Ausland zu schicken. Über diese Vorkommnisse ging auch die Aushilfe aus Salzburg dem Ende entgegen. Der seelsorgliche Notstand aber blieb und die Protestantisierung im Lande nahm unaufhaltsam zu. Es musste dringend Abhilfe geschaffen werden, dies sah auch das Stiftskapitel ein.
Dekan Johann B. Lachemayr und Stiftskapitular Georg Ignaz v. Leiblfing übernahmen nun die Verhandlungen mit den bayerischen Franziskanern, denen man eine gute theologische Ausbildung, musterhaften Lebenswandel, würdige Feier des Gottesdienstes und ein bestes Verhältnis zum bayerischen Königshaus nachsagte, außerdem versprach man sich in Berchtesgaden, dass wohl auch keine Dialektschwierigkeiten mehr entste¬hen könnten. Mit diesen Verhandlungen wurde nun auch die eigentliche Gründungsphase des Franziskanerklosters in Berchtesgaden eingeleitet.