Wer in der heutigen Franziskanerkirche an der Nordseite entlanggeht, stößt auf ein mächtiges Epitaph: Wolfgang II Griesstetter, Fürstpropst zu Berchtesgaden (1541 -1567). Er wurde auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin nicht wie die meisten anderen Berchtesgadener Fürstpröpste in der Stiftskirche, sondern als einziger Propst in der damaligen Kirche zu Unserer Lieben Frau am Anger begraben. Sein Grabdenkmal wurde schon vor 1560, also noch zu Lebzeiten des Propstes, von dem niederländischen Steinbildhauer Niclas van der Mitter in Rotmarmor gestaltet. Der obere Teil des Epitaphs zeigt eine Pieta mit Assistenzfiguren, links unten demütig kniend der betende Propst mit Wappen und Inful; das Relief dürfte somit Porträteigenschaft haben (s. u. Bild).
Verschleppte Bautafel von 1557 entdeckt
Im Zusammenhang mit der gelungenen Neugestaltung bzw. Renovierung des Berchtesgadener Bahnhofs wurde im Treppenaufgang eine alte, verschleppte Bautafel aus Rotmarmor entdeckt. Sie konnte nun entziffert und baugeschichtlich zugeordnet werden.
Der Text der Inschrift lautet wörtlich: „Anno Dni MDLV II / hat Brost Wolfgang / Griesteter disen Pau / machen lassen“ („Im Jahre des Herrn 1557 hat Propst Wolfgang Griesstetter diesen Bau machen lassen“). Unterhalb der Textzeilen sind das Stiftswappen und das persönliche Wappen von Stiftspropst Wolfgang II. Griesstetter (Schreibweise auch Griesstätter), er regierte von 1541 – 1567, eingemeißelt. Das Stiftswappen links ist leicht an den gekreuzten Petrusschlüsseln zu erkennen. Das viergeteilte Griesstetter-Wappen daneben zeigt jeweils in zwei diagonalen Feldern auf einem Dreiberg einem Bienenkorb bzw. nach anderer Deutung einer Laterne und sechs stilisierte Helme. Bekrönt werden die beiden Wappen durch die Propstmitra (Inful) mit den beiden geschwungenen Bändern sowie dem weiteren Zeichen seiner kirchlichen Macht, dem Bischofsstab.
Schwieriger gestaltete sich die Zuordnung der Bauinschrift und damit die Suche nach dem „Bau“. Propst Wolfgang II. würden wir heute als einen modernen Unternehmer in schwieriger Zeit bezeichnen, der über organisatorische Fähigkeiten und wirtschaftliche, auch bergmännische Kenntnisse verfügte. In der Stanggass beim Thannlehen (heute Oberthannlehen) waren damals eine Salzquelle und an der Gmundbrücke ein Steinsalz- lager entdeckt worden. Von diesen beiden Vorkommen versprach man sich finanziell so viel, dass Propst Griesstetter 1555 mit dem Bayernherzog Albrecht V. einen wichtigen, ja entscheidenden Vertrag abschloss. Dabei sagte der Berchtesgadener Propst den Bau eines neuen Pfannhauses zu, also einer Saline zur Auswertung der neu gefundenen Salzlager! Diese Saline wurde auf dem Grunde des ehemaligen Frauenklosters am Anger, nämlich Frauenreut (Fronreut) am früheren Güterbahnhof, dem heutigen Salinenplatz errichtet. Das Stift Berchtesgaden verfügte nun neben der Saline in Marktschellenberg über eine zweite Sudstätte, in der man ab 1558 über eine Salzrinne auch die Sole aus dem 1517 aufgeschlagenen Petersberg versieden konnte. Diese Saline brannte 1820 ab. Der daraufhin errichtete Neubau wurde nach der Stilllegung der Saline 1927 abgebrochen (1931) und das Grundstück an die Deutsche Reichsbahn verkauft.
Beim Neubau des Berchtesgadener Bahnhofs (1937 – 1940) wurde die funktionslos gewordene Bauinschrift wohl im Turmaufgang neu angebracht. Sie dürfte somit das letzte erhalten gebliebene Relikt der alten Saline von 1557 sein.
Das prächtige Grabdenkmal in der Franziskanerkirche ist das Zeugnis der kraftvollen Wirtschaft dieses am 14. Juli 1567 im Alter von 77 Jahren verstorbenen Propstes, der seit 1559 zudem den Titel eines Reichsfürsten führte. Grund genug diesem verdienten Landesherren auch eine Straße in Berchtesgaden zu widmen, die Griesstätter-Straße (Verbindungsstraße zwischen Maximilian- und Ludwig-Ganghofer-Straße).
Kurz vor seinem Todes gründete er noch eine großzügige Stiftung, den „Wolfgang- Griesstetter-Fond“, den er mit 10.000 Gulden Stiftungsvermögen ausstattete. „Der geistigen und materiellen Wohlfahrt“ lautete der Stiftungszweck, was sowohl der tiefen Religiosität wie der patriarchalisch-landesherrlichen Fürsorge des gefürsteten Augustiner- Chorherrenpropstes seinen Untertanen gegenüber ideal entsprach.
Und jetzt schließt sich der Kreis: Als ein in Berchtesgaden geborenes Landeskind ersuchte der Studiosus Thomas Kessler am 7. August 1655 um ein Stupendium aus der „Propst- Wolfgang-Griesstetter-Stiftung“ zum Studium der Philosophie und Theologie an einer katholischen Universität. Später als wohl bestellter Pfarrkaplan in Berchtesgaden unterstützte er zusammen mit dem Stiftsdekan Johann Georg von Leoprechting die Bitte des aus der Gern stammenden Wolfgang Hueber, salzburgischer Unterwaldmeister in der Herrschaft Itter, zum Bau einer Kapelle für dessen geschnitztes Muttergottesbild.
Das war 1666; und so feiert heuer die Pfarrei Berchtesgaden „ 350 Jahre Gnadenbild Maria in der Gern“.